Antike Bibel-Mosaike

Wo Helden ein Gesicht erhalten

JERUSALEM – Huqoq gilt nicht nur der jüdischen und christlichen, sondern auch der drusischen und muslimischen Tradition als Ort der letzten Ruhestätte des Propheten Habakuk. Sein Grab wird in dem kleinen Dorf verehrt, das nordwestlich von Magdala liegt, der Heimat von Maria Magdalena. Archäologen haben dort aufsehenerregende Entdeckungen gemacht.

Im Alten Testament wird Huqoq zweimal erwähnt: in Josua 19,32–34 und in 1 Chronik 6,74–75. Vor rund 1600 Jahren entstand in dem Ort eine imposante jüdische Synagoge. Das spätrömische Gotteshaus ist heute nicht nur wegen seines guten Erhaltungszustands ein Highlight der Archäologie, sondern auch wegen der zahlreichen biblischen Mosaiken, die die Gebetsstätte einst schmückten.

Diesen Sommer kehrte nach zweijähriger Pandemiepause ein Team aus Archäologen, Akademikern und Studenten unter der Leitung von Jodi Magness von der University of North Carolina in Chapel Hill in die Re­gion zurück. Ursprünglich wurde Magness von dem Wunsch angetrieben, eine jahrzehntelange Debatte unter Gelehrten über die Datierung alter Synagogen zu beenden.

2011 entdeckte Magness unter den Trümmern des arabischen Dorfs Yakuk, das im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947 bis 1949 entvölkert wurde, die relativ unberührte und gut erhaltene Synagoge aus byzantinischer Zeit. Diesen Sommer kam nun unter dem Kulturstaub der Jahrhunderte am südlichen Ende des westlichen Seitenschiffs ein weiterer Teil des Bodenmosaiks ans Tageslicht.

Das Mosaik ist in drei Tafeln unterteilt. Eine zeigt die Richterin Debora, die den israelitischen Anführer Barak zum Kampf gegen die Kanaaniter aufruft (Ri 4,10). Barak und seine Armee hatten Erfolg und besiegten ihre Feinde. Nur General Sisera floh, um der Gefangennahme zu entgehen. Er suchte Zuflucht im Zelt von Jaël. Diese gewährte ihm Gastfreundschaft. Als er jedoch einschlief, tötete sie ihn.

Ein erhaltener Teil des Mosaiks zeigt Sisera, der tot am Boden liegt und aus dem Kopf blutet, während Jaël ihm einen Zeltpfahl in die Schläfe treibt (Ri 4,21). „Dies ist die erste Darstellung, in der wir die beiden biblischen Heldinnen in der antiken jüdischen Kunst sehen“, erklärt Archäologin Jodi Magness.

„Das Buch Josua, Kapitel 19, gibt einen Hinweis darauf, dass sich die beschriebenen Szenen wahrscheinlich im Territorium der Stämme Naphtali und Sebulon abgespielt haben, also in derselben geografischen Region, in der das antike Dorf Huqoq liegt“, sagt Magness. „Der Wert unserer Entdeckungen besteht darin, dass sie dazu beitragen, die Lücken unseres Wissens über die Juden der damaligen Epoche zu füllen.“

Die Darstellungen in der Synagoge seien beispiellos, meint Magness, und in keinem anderen Gotteshaus zu finden. „Was wir fanden, ist äußerst aufregend. In Huqoq hat man das Gefühl, als hätten sich die Bewohner damals gesagt: Wir wollen die schönste Synagoge in der Gegend bauen.“ Der Mosaikboden revolutioniere geradezu das Verständnis des Judentums jener Zeit: Anders als oft gedacht, sei jüdische Kunst nicht bilderlos, sondern farbenfroh und figürlich – Zeugnis einer reichen Kultur.

„Abgesehen von den herausragenden Mosaiken und bunt bemalten Säulen gibt es weitere Besonderheiten in dieser Synagoge: Eine Inschrift wird von den Gesichtern zweier Frauen und eines Mannes flankiert. Dies könnten die ersten Stifterporträts sein, die in einem jüdischen Gebetshaus gefunden wurden“, vermutet Magness.

Nichts Vergleichbares

In byzantinischen Kirchen sei dies nicht ungewöhnlich gewesen – in Synagogen jener Zeit aber gebe es nichts Vergleichbares. „Im Allgemeinen bestand ein wechselseitiges Einwirken zwischen Juden und Christen in dem Sinne, dass beide Religionen Anspruch auf dieselbe Tradition erhoben und sich selbst als das ‚wahre Israel‘ bezeichneten“, sagt Magness. „Es ist kein Zufall, dass in Kirchen und Synagogen dieselben biblischen Themen auftauchen.“

Die Huqoq-Mosaiken stellen bedeutende Zeugnisse jener Juden dar, die vor 1600 Jahren in Galiläa lebten. „Unsere Ausgrabungen beleuchten eine Zeit, in der die einzigen schriftlichen Quellen über das Judentum rabbinische Literatur und Referenzen in der frühchristlichen Literatur sind. Sie repräsentieren den Standpunkt jener Männer, die sie geschrieben haben. Also füllt die Archäologie diese Lücke, indem sie Aspekte des Judentums beleuchtet, über die wir sonst nichts wüssten.

Schon in früheren Ausgrabungskampagnen haben die Forscher in Huqoq alttestamentliche Mosaikszenen ausgegraben. Einer der spektakulärsten Funde ist eine Darstellung des Richters Samson. Das Mosaik zeigt Samson und die Schakale (frühere Übersetzung: Füchse), denen er nach Richter 15,4-5 Fackeln an die Schwänze band, sodass sie das Getreide der Philister in Brand setzten. Dazu ist der israelitische Held zu sehen, wie er das Stadttor von Gaza auf den Schultern trägt (Ri 16,3).

Eine große Tafel im nordwestlichen Seitenschiff stellt die Geschichte von Elim dar. Sie ereignete sich dem Buch Exodus zufolge kurz nach der Flucht der Israeliten aus Ägypten auf ihrer Wanderung durch die Wüste. Elim wird als Oase mit zwölf Wasserquellen und 70 Dattelpalmen beschrieben. Nach einem kurzen Aufenthalt in Marah, einem Ort mit bitterem Wasser, das auf wundersame Weise süß gemacht wurde, bot Elim eine willkommene Erholung (Ex 15,27).

Ein anderes Mosaik zeigt zwei Männer, die eine Stange auf ihren Schultern tragen. Daran hängt eine massive Weintraube. Eine weitere Tafel stellt einen Jungen dar, der ein Tier an einem Seil führt. „Ein kleines Kind soll sie führen“, steht dabei. Es ist ein Hinweis auf Jesaja 11,6: „Auch der Wolf wird bei dem Lamm wohnen, und der Leopard wird bei dem Böckchen lagern; und das Kalb und der junge Löwe und das Mastvieh zusammen; und ein kleines Kind wird sie führen.“

Der gefangene Prophet

Ein weiteres überraschendes Mosaik wurde im Nordschiff der Synagoge freigelegt: Es zeigt Darstellungen von Tieren, die in Kapitel 7 des Buchs Daniel beschrieben werden. Dort gebraucht der in Babylonien gefangene Prophet die Bestien als Symbole, um die vier Königreiche darzustellen, die zum Ende aller Tage führen. Eine fragmentarische aramäische Inschrift bestätigt diese Deutung.

In der Haupthalle der Synagoge zu sehen sind die Geschichte von Jona und dem Wal, der Turm zu Babel, die Arche Noah und die Soldaten des Pharao, die im Roten Meer von Fischen verschlungen werden. Eine Darstellung Alexanders des Großen bezieht sich auf eine legendäre Begegnung zwischen dem Eroberer und dem jüdischen Hohepriester. Nach Aussage der Archäologen ist Alexander die erste nicht-biblische Persönlichkeit, deren Bild in einer antiken Synagoge gefunden wurde.

„Die Ausgrabungen in Huqoq und die Mosaiken im Speziellen zeigen die anhaltende Dynamik und Vielfalt der Juden und des Judentums in der Spätantike“, erklärt Magness. „Wenn man dazu noch bedenkt, dass die rabbinische Literatur keine Beschreibungen über die Figuren-Dekoration in Synagogen enthält, so hätte die Welt ohne Archäologie niemals von diesen biblischen Darstellungen erfahren.“

Mittlerweile wurden die Mosaiken zur weiteren Untersuchung aus der Synagoge entfernt. Die nächsten Ausgrabungen sollen im Sommer 2023 stattfinden. Sie sind mit der Hoffnung verbunden, noch weitere Kunstwerke aus der Antike zu finden – und so mehr über die Menschen zu erfahren, die sie schufen.

Karl-Heinz Fleckenstein

09.09.2022 - Heiliges Land , Judentum , Kunst